Wir wollten mit dem VW Bus die Sahara durchqueren und dazu braucht man ja etwas Geld. Ich arbeitete dafür in der Schloßbrauerei Thüngen, wo man mich zunächst für ein U-Boot meines Großvaters hielt. Man beschloss das Barons-Bürschla auf die Probe zu stellen und ließ mich drei Tage lang härteste und unangenehmste Arbeiten verrichten. Offenbar habe ich das Verfahren erfolgreich durchlaufen, denn vom vierten Tag an war ich Beifahrer im Bierauto. Ich habe die Namen der verschiedenen Chauffeure vergessen. Der erste, man vertraute ihm nur noch kurze Strecken an, ernährte sich ausschließlich vom Bier. Er war spindeldürr und hatte einen Blähbauch. Er erzählte viel von vergangenen Zeiten, auch davon, wie der Sekt aus dem Juliusspital in den Kellern der Brauerei ausgelagert worden war. „Wie die Ami nacher kumma senn, ham sa den ganzn Sekt auf den Misthaufn gschütt. Wie des Zeuch, wo do aus’n Überlauf rauskumma is, nimmer so arch gschdungn hat, ham mers gsuffn.“ Nicht nur angenehm waren die Kontakte mit den Wirten. Der in Halsheim hielt uns längere Zeit fest, nur um mir zu berichten, was der Bruder vom Baron doch für ein fabelhafter Nazi gewesen sei.
Mit einem anderen Bierkutscher befuhr ich die die Vordere Rhön. Ortsnamen, die ich nur dem vom Hörensagen kannte, füllten sich mit Inhalt. In Langenporzelten durften nur 20 Liter Fässer geliefert werden, weil die Wirtin zu alt war, größere zu bewegen. In Wartmannsrot durfte nur geliefert werden, wenn der Wirt vor dem Abladen zahlte In Rieneck und Zeitlofs gab’s die besten Brotzeiten. Irgendwann fiel mir auf, dass wir durchaus nicht den kürzesten Weg von Abladeplatz zu Abladeplatz nahmen. Ich wurde belehrt, als Bierfahrer müsse man strategisch vorgehen. Wo man eine Brotzeit bekommt, muss man gegen 10 Uhr abladen. In Burgsinn gab es umsonst eine Bratwurst mit Sauerkraut, also 12 Uhr. Dann weiter nach Mittelsinn und Obersinn. Dort mussten die Bierkästen in den Keller geschafft werden. Problem dabei: Der Stallhasensaft rann die Kellertreppe hinab, äußerste Rutschgefahr! Nachmittagsbrotzeit dann in Eußenheim, und weil es von dort nach Thüngen nichtmehr weit war, durchaus auch mal zwei Bier. Das abschließende Bier am Nachmittag war nur die Krone einer fast ungebrochenen Kette von Bieren, die wir im Laufe des Arbeitstages zu uns nahmen. Wenn es einmal nur eine Tasse Kaffee gab wie beim Wirt in Detter, waren wir beide eigentlich ganz dankbar für den alkoholischen Aussetzer, dennoch schimpfte mein Chauffeur danach: „So droggn ka iich mein Kaffee fei ned gadring“! Bevor wir eine Wirtschaft anfuhren, wurde ich über den Charakter des Wirtes und dessen familiäres Umfeld genauestens unterrichtet: „Die Fraa von Wird in Rieneck – ach Goodla! Aber sei Dochdä, naja, des is aa scho wiedä Jaahre her.“
Begleitet wurde die Fahrt von den monotonen Hinweisen: “Do drühm ham mer fei a Debboh.“
Mit dem dritten Bierkutscher belieferte ich die Flaschenbier Depots in Würzburg und Umgebung. Er erklärte mir, dass sich mein Großvater von den 8.50 DM, die ein Kasten Bier kostet 6 „Märgla“ als Reinverdienst in die Tasche stecke. „Ka Wunner, äß der an Merzedes had.“ Er kannte sich aber nicht nur in Wirtschaftsdingen aus, seine wahre Expertise waren die Frauen. Er konnte am Gang einer Frau erkennen, ob sie Spaß an Sex habe und besonders, wie lange es her gewesen sei, dass… Er legte Wert darauf, sein Wissen auf mich zu übertragen, und frug mich ab: „Die do mit den schwadzn Däschla?“. „Drei Stündla“ antwortete ich. „Aff, blöder, höxdns zwanzich Minuddn.“ So lernte ich die Straßen Würzburgs unter einem unerwarteten Gesichtspunkt kennen. In Geretsried, der scheußlichen Schlafstadt oben auf den Hügeln störte ich ihn ganz offensichtlich. Manche grüne Witwe erwartete ihn dort nicht nur als Flaschenbierlieferant. Irgendwann gelang es ihm, mich loszuwerden, denn plötzlich fand ich mich auf der Rhönroute wieder, was meiner Sittlichkeit wohl bekam, der Leber weniger.