Was tun? (vier Tage später)

Wenn man einem unterfränkischen Bauern, der gerade seine Zuckerrüben erntet, vom bedingungslosen Grundeinkommen erzählt, dann lässt der die Hunde von der Kette. Für alle, die ihr Lebtag hart gearbeitet haben, ist die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen ein typisches Hirngespinst urbaner, universitärer linker Spinner, die schon immer von „Staatsknete“ gelebt haben.

Wirklich?

Wenn die Ereignisse in den USA zu etwas gut waren, dann dazu, dass sich ausnahmslos alle fragen, wie es jetzt weitergehen soll. Die Wahlen in Mäc Pom, der Brexit, die FPÖ und nun Trump machen deutlich, dass es kein „weiter so“ geben wird.

Die Vergessenen werden wiederentdeckt. Und da sage noch einer, Wahlen wären Augenwischerei! Denn sie wären nicht wiederentdeckt worden, wären diese vernachlässigten Bürger nicht zur Wahl gegangen und hätten etwas Ungeheuerliches getan: So zu wählen, wie wir es nicht wollten!

Neulich habe ich geschrieben, Bildung sei das Rezept um diesen Teil des Wahlvolkes von den Radikalinskis abzuhalten. Da bin ich wohl voll in meine eigene intellektuell-bornierte Falle gelaufen. Bildung ist nur ein langfristig richtiges Ziel.

Und die, denen es jetzt mies geht? Sollen wir sie warten lassen?

Wir müssen nachdenken und wir dürfen keine Denkverbote haben.

Man mag einwenden, dass es für jemanden, der jetzt schon in der dritten Generation Hartz IV bekommt, egal ist, ob das, was er bekommt in Zukunft „bedingungsloses Grundeinkommen“ heißt. Es wird darüber aber vergessen, dass in den kommenden Jahren Automaten, Computer und Dinge, die noch gar nicht erfunden worden sind, vielen, die heute noch einen Job haben, die Arbeit abnehmen werden.

Wir müssen auf jeden Fall umdenken. Bedingungsloses Grundeinkommen? Mag ein Irrweg sein. Wir wissen es nicht. Aber wir sollten beginnen, diejenigen, die dieses Modell propagieren, nicht weiterhin als linke Spinner mit Affinität zum Rumsitzen ab zu tun.

Die Zeitläufte sind zu erschreckend, als dass wir es uns erlauben könnten, so zu tun, als bestünde kein Handlungsbedarf.

Ganz Alte erinnern sich noch daran, wie die Deutschen einem Mann mit Schnurbart hinterhergerannt sind, weil er Arbeitsplätze schaffte und versprach, die Schmach von Versailles zu sühnen. Hätte Hitler englisch gesprochen, Goebbels hätte für ihn folgenden Spruch erfunden:

Make Germany Great Again!

Was nun? (10.11.2016)

Alles wird schwieriger, alles wird weniger vorhersehbar, ach es ist ein Jammer!

Wenn man die in den Medien geäußerten Meinungen verfolgt, dann gewinnt man den Eindruck, die Welt wisse nicht, wohin sie nach Trumps Sieg den nächsten Schritt setzen soll.

Versuchen wir’s:

Wir wissen, dass Trump viele Menschen gewählt haben, deren Jobs ins Ausland gelagert worden waren, die von der Politik vernachlässigt worden waren und die in besseren Zeiten Tätigkeiten nachgegangen waren, bei denen keine hohen Anforderungen an die Bildung gestellt wurden.

Gegen die Abwanderung der Jobs können wir wenig tun, denn Venezuela zeigt es, sich den ökonomischen Tatsachen in den Weg zu stellen, bringt es nicht.

Natürlich können wir unsere Politiker dazu aufrufen, sich um die Vergessenen zu kümmern, aber ob das helfen wird, zumal wenn wir mal genau hinschauen, wer denn unsere Politiker sind?

Clinton (Bill) hatte hinter seinem Schreibtisch ein Schildchen aufgehängt, auf dem stand als Erinnerung „It’s the economy, stupid!“

Das sollte ihn daran erinnern, dass nichts gut funktioniert, wenn nicht der Rubel rollt. Offenbar hat er sich den Aufruf zu Herzen genommen, denn seine Präsidentschaft war wirtschaftlich äußerst erfolgreich.

In der globalisierten Welt kann man als nationaler Politiker wenig tun, um das fine-tuning der Weltwirtschaft zu beeinflussen. Helmut Schmidt hatte das erkannt und sich kühn zum ersten Weltökonomen aufgeschwungen.

Allerdings gibt es eine Zutat der Suppe, die zu Trumps Erfolg führte, die jeder einzelne Politiker, vom Bürgermeister bis ganz oben, allein, souverän und erfolgreich beeinflussen kann:

IT’S THE EDUCATION, STUPID!

Bildung bleibt am Menschen sein ganzen Leben kleben. Man kann Bildung nicht wie Arbeitsplätze wegrationalisieren oder auslagern.

Aber man kann Bildung nutzen, um die wegrationalisierten oder ausgelagerten Arbeitsplätze durch qualifiziertere zu ersetzen. Wenn die Jobs, die wenig Bildung brauchen, wegfallen, muss man halt die Bildung anheben, um die Menschen in die Jobs zu bringen, die höhere Qualifizierung voraussetzen.

Es muss gelingen, den Vergessenen, den Bildungsfernen und den Arbeitslosen in der dritten Generation die Gewissheit zu geben, dass es sich lohnt, sich ausbilden zu lassen.

Gebildete haben nicht als einziges Argument den ausgestreckten Mittelfinger, auch laufen sie nicht montags Demagogen hinterher. Wenn unsere demokratischen Regierungen in Europa das nicht erkennen, dann wird die Trump‘sche Saat auch in Europa aufgehen und statt der ersten Frau als US Präsidentin werden wir in Paris die erste Madame la Présidente erleben (von anderen ganz zu schweigen).

 

Stassbourg im Mai 1871

Nun gehörte Elsass-Lothringen schon zwei Monate zum Deutschen Reich, da wurde Monsieur La Garde, ins Hauptquartier berufen.

„Herr La Garde“, begann der Kommandant, „wie Sie wissen, sind Sie jetzt Untertan seiner Majestät des Kaisers. Ich frage mich, weshalb sie nach wie vor auf Ihrem französischen Namen beharren.“

„Monsieur le Commandant, ich will Ihnen mein Problem erklären. Seit Jahrhunderten heißt meine Familie La Garde. Wir sind stolze Elsässer. Als solche sind wir an die Wechselhaftigkeit der Zeitläufte gewohnt, unser Familienname aber ist geblieben.

Denn sehen Sie, wenn ich jetzt meinen Namen eindeutsche, werde ich Wache heißen. Dann, Sie werden verzeihen, kommen die Franzosen zurück, und man wird mich „Vache“ nennen.

Dann kommen die Deutschen zurück und ich werde Kuh heißen.

Dann kommen, Sie werden verzeihen, die Franzosen zurück und mein Name wird Cul sein.

Und wenn abermals die Deutschen zurückkommen, dann werde ich Arsch heißen.

Quand même, Monsieur le Commandant!

Dr. Martin Luther

Seit frühester Jugend lebe ich mit Dr. Martin Luther. Einer der ersten Filme die ich sehen durfte, handelte von ihm. Er wurde im mondänen Thüngen gezeigt, denn im hinterwäldlerischen Rentweinsdorf gab’s kein Kino.

Was mir denn geblieben sei, wurde ich gefragt, und ich machte vor, wie Bruder Martin seine Zelle schrubbte. Immer wieder musste ich das meinem Großvater vorspielen, so dass ich bald davon überzeugt war, zumindest besser schrubben zu können, als der Reformator.

Später diente er mittels eines Spruches dazu, die Mädchen zu ärgern:

„Dogder Maddin Ludder ging mit seiner Frau auf die grüne…“ und da musste man ein Mädchen in den Arm zwicken, damit der Schmerzensruf den Reim vervollständige.

In der Volksschule nahmen wir ihn durch, im Gymnasium dreimal im Geschichtsunterricht und mindestens zweimal im Religionsunterricht. Man könnte also annehmen, dass ich Lutherexperte sein müsste.

Weitstfehlung!

Uns wurden immer nur die Dönsges von „hier stehe ich, ich kann nicht anders“ ist gleich Mannesmut vor Fürstenthronen erzählt. Die Sache mit dem Tintenfass brachte unsere Großmutter manchmal statt einer Gutenachtgeschichte und dass seine Frau in einem stinkenden Fass aus dem Kloster geflohen war, war ja witzig, brachte uns aber keinen Millimeter näher an das Verstehen heran, weshalb Luthers Lehre so brisant war, dass sie eine Kirchenspaltung und Kriege vom Dreißigjährigen in Deutschland bis zu dem in Ulster geführt hat.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, die Kirchen wieder zusammenzuführen. Auf der evangelischen Seite des „Runden Tisches“ saß mein Urgroßvater und als alle Versammelten darlegen sollten, weshalb der eine katholisch und der andere evangelisch sei, sagte dieser, als er an der Reihe war: „Ich bin evangelisch, weil meine Eltern auch evangelisch waren.

Damit hatte er zwar den Nagel auf den Kopf getroffen, wurde aber dennoch wegen erkennbarem Mangel an geistlichem Tiefgang aus der Kommission entlassen.

Ich wette, dass die wenigsten Katholiken oder Lutheraner wirklich wissen, weshalb sie ihrer Konfession angehören. Wenn ich mit der gleichen Liebe und Zuwendung katholisch erzogen worden wäre, wie ich evangelisch erzogen wurde, ich bin sicher, ich wäre ein ebenso glücklicher Mensch geworden.

Allerdings denke ich, dass ich womöglich doch an meinem Luthertum verzweifelt wäre, hätte man uns von seinem Antisemitismus erzählt, hätte man davon berichtet, wie er sich so hinlegte, dass die Decke der Macht ihn auch schön warmhielt.

Dank des Nichtwissens musste ich nie zweifeln. Es war ja meine Familie gewesen, die nach dem Motto „cuius regio eius religio“ der untertänigen Bevölkerung den neuen Glauben verordnet hatte. Es wäre ja direkt Nestbeschmutzung gewesen, an Luther zu zweifeln.

So ein Schmarrn!

Man halte es mit Fridericus Rex, der sagte, jeder solle nach seiner eigenen „façon“ glücklich werden. Das setzt aber voraus, dass jeder Einzelne sich überlegt, ob es ihm genügt, seiner Konfession anzugehören, weil schon die Eltern ich angehört haben.

Tradition ist da der falsche Maßstab, Herabwürdigung des anderen erst recht. Womöglich aber wäre es für alle Christen, auch für mich, förderlich, sich einmal etwas näher mit Luther zu beschäftigen. Denn man kann natürlich sagen, er sei der Böse, der die Kirchentrennung provoziert hat. Man kann aber ebenso natürlich sagen, das Schisma sei notwendig gewesen, weil sich die römische Kirche damals als reformunfähig erwiesen hat.

Was wir dabei nicht aus den Augen lassen sollten, ist und bleibt, für die Einheit der Christen zu arbeiten.

Mein ketzerischer Ansatz dazu seit Jahren:

Die Einheit der Christen gelingt nur dann, wenn man den Theologen verbietet, daran mitzuwirken.

Die Sandfrau

Tante Mine war früh verwitwet, was sie nicht sonderlich bedrückte, denn sie war eine Sandfrau.  Sie war nicht aus Sand, vielmehr versuchte der Onkel Wilhelm der Gesellschaft Sand in die Augen zu streuen, indem er die Dame heiratete. Um es kurz zu machen, er war schwul, das sagte man damals aber nicht. Der Sprachmodus, auf den man sich geeinigt hatte war, Onkel Wilhelm sei ein Paragraphenmensch in Anlehnung an den unseligen Paragraphen 175 des alten Strafgesetzbuches. Nach dem Krieg starb Onkel Wilhelm.

Tante Mine wohne nun mutterwindallein auf einer riesigen Burg, von dichtem Wald umgeben irgendwo in Bayern. Tante Mines Kinderlosigkeit war es geschuldet, dass sie sich bei ihren Neffen und Nichten allergrösster Beliebtheit erfreute. Die dame war keineswegs eine Sympathieträgerin, aber Onkel Wilhelm war äußerst begütert gestorben. Wer schaut da nicht über berechtigte Eigentümlichkeit mit dem Auge des Erben liebend hinweg? Wald, Burg, Industriebeteiligungen und einige Mietshäuser in Würzburg musste der Verstorbene zur Gänze seiner Frau hinterlassen, dafür hatte Tante Mine bei der Eingehung der Ehe schon gesorgt. Über die Herkunft der Häuser sprach man übrigens ebenso wenig, wie über die „conditio humana guillermi“. Die Immobilien waren während der Nazizeit in seinen Besitz gekommen, rein zufällig…

Die Nichten und Neffen erkundigten sich auffällig oft nach dem Gesundheitszustand von Tante Mine, einige meldeten sich im monatlichem Rhythmus bei ihr zum Tee an und kurvten dann enttäuscht die Serpentinen talabwärts, denn Tante Mine war äußerst kregel, allerdings klagte sie über Langeweile da droben auf ihrer Burg. Schließlich kaufte sie sich ein Haus auf Mallorca und lernte dort einen jungen Archäologen kennen, der in der Nähe von Alcudia nach Römischem buddelte. Sie fand ihn sympathisch und überredete ihn, statt in der glühenden Sonne Mallorcas in der schattigen Umgebung ihrer Burg zu buddeln. Das tat er dann auch, fand sogar Interessantes und versetzte die Nichten und Neffen in hellste Aufregung:

„Das ist ein Erbschleicher, der hat sicher ein schmieriges Verhältnis mit Tante Mine, den graust’s aber auch vor gar nichts“. Auf diesem Niveau hielten sich die Vermutungen, die schließlich dadurch bestätigt wurden, dass Tante Mine den Archäologen adoptierte. Onkel Herbert, der jüngere Bruder von Onkel Wilhelm meinte, er habe noch nie eine solch elegante Variante der Ehrbarmachung eines ansonsten fragwürdigen Verhältnisses erlebt. Weniger elegant benahmen sich die Nichten und Neffen, denn die Besuche zum Tee endeten abrupt, man fragte auch nichtmehr nach Tantchens Wohlergehen, „hat ja eh keinen Zweck“ war die Meinung aller.

Der zum Grafen adoptierte Archäologe buddelte fleißig weiter und entwickelte sich mit den Jahren zu einem in Bayern angesehenen Experten, bis er eines Tages spurlos verschwand. Tante Mines Mitteilungseifer war gebremst, dennoch stellte sich heraus, dass sie den getreuen Adoptivsohn und Liebhaber eines schönen Sommernachmittages auf dem Söller der Burg mit dem Stubenmädchen beim Versuch der natürlichen Reproduktion überrascht hatte. Die Aussicht von dort droben ist übrigens berühmt.

Es wurde teuer, aber am Ende gelang die Entadoptierung , wegen groben Undanks .Der Archäologe bekam eine Abfindung und gab die Grafenkrone zurück. Tante Mine verhielt sich testamentarisch sehr nobel: Die Mietshäuser in Würzburg vermachte sie dem Jewish Council, die Burg wurde eine internationale Begegnungsstätte, die bis heute von den Erträgen des Waldes und des Restes Ihres Vermögens  gehalten wird. Als sie starb, hatte sie die Industriebeteiligungen verlebt, das Haus auf Mallorca kurz vor ihrem Tod verkauft.

Zur Testamentseröffnung erschienen erwartungsfroh die Nichten und Neffen. Der Notar erbrach das Siegel, lächelte, und verlas sodann Tante Mines letztem Willen, der wie folgt begann:

„Das letzte Hemd hat keine Taschen, aber Eure bleiben auch leer“.