Dr. Martin Luther

Seit frühester Jugend lebe ich mit Dr. Martin Luther. Einer der ersten Filme die ich sehen durfte, handelte von ihm. Er wurde im mondänen Thüngen gezeigt, denn im hinterwäldlerischen Rentweinsdorf gab’s kein Kino.

Was mir denn geblieben sei, wurde ich gefragt, und ich machte vor, wie Bruder Martin seine Zelle schrubbte. Immer wieder musste ich das meinem Großvater vorspielen, so dass ich bald davon überzeugt war, zumindest besser schrubben zu können, als der Reformator.

Später diente er mittels eines Spruches dazu, die Mädchen zu ärgern:

„Dogder Maddin Ludder ging mit seiner Frau auf die grüne…“ und da musste man ein Mädchen in den Arm zwicken, damit der Schmerzensruf den Reim vervollständige.

In der Volksschule nahmen wir ihn durch, im Gymnasium dreimal im Geschichtsunterricht und mindestens zweimal im Religionsunterricht. Man könnte also annehmen, dass ich Lutherexperte sein müsste.

Weitstfehlung!

Uns wurden immer nur die Dönsges von „hier stehe ich, ich kann nicht anders“ ist gleich Mannesmut vor Fürstenthronen erzählt. Die Sache mit dem Tintenfass brachte unsere Großmutter manchmal statt einer Gutenachtgeschichte und dass seine Frau in einem stinkenden Fass aus dem Kloster geflohen war, war ja witzig, brachte uns aber keinen Millimeter näher an das Verstehen heran, weshalb Luthers Lehre so brisant war, dass sie eine Kirchenspaltung und Kriege vom Dreißigjährigen in Deutschland bis zu dem in Ulster geführt hat.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, die Kirchen wieder zusammenzuführen. Auf der evangelischen Seite des „Runden Tisches“ saß mein Urgroßvater und als alle Versammelten darlegen sollten, weshalb der eine katholisch und der andere evangelisch sei, sagte dieser, als er an der Reihe war: „Ich bin evangelisch, weil meine Eltern auch evangelisch waren.

Damit hatte er zwar den Nagel auf den Kopf getroffen, wurde aber dennoch wegen erkennbarem Mangel an geistlichem Tiefgang aus der Kommission entlassen.

Ich wette, dass die wenigsten Katholiken oder Lutheraner wirklich wissen, weshalb sie ihrer Konfession angehören. Wenn ich mit der gleichen Liebe und Zuwendung katholisch erzogen worden wäre, wie ich evangelisch erzogen wurde, ich bin sicher, ich wäre ein ebenso glücklicher Mensch geworden.

Allerdings denke ich, dass ich womöglich doch an meinem Luthertum verzweifelt wäre, hätte man uns von seinem Antisemitismus erzählt, hätte man davon berichtet, wie er sich so hinlegte, dass die Decke der Macht ihn auch schön warmhielt.

Dank des Nichtwissens musste ich nie zweifeln. Es war ja meine Familie gewesen, die nach dem Motto „cuius regio eius religio“ der untertänigen Bevölkerung den neuen Glauben verordnet hatte. Es wäre ja direkt Nestbeschmutzung gewesen, an Luther zu zweifeln.

So ein Schmarrn!

Man halte es mit Fridericus Rex, der sagte, jeder solle nach seiner eigenen „façon“ glücklich werden. Das setzt aber voraus, dass jeder Einzelne sich überlegt, ob es ihm genügt, seiner Konfession anzugehören, weil schon die Eltern ich angehört haben.

Tradition ist da der falsche Maßstab, Herabwürdigung des anderen erst recht. Womöglich aber wäre es für alle Christen, auch für mich, förderlich, sich einmal etwas näher mit Luther zu beschäftigen. Denn man kann natürlich sagen, er sei der Böse, der die Kirchentrennung provoziert hat. Man kann aber ebenso natürlich sagen, das Schisma sei notwendig gewesen, weil sich die römische Kirche damals als reformunfähig erwiesen hat.

Was wir dabei nicht aus den Augen lassen sollten, ist und bleibt, für die Einheit der Christen zu arbeiten.

Mein ketzerischer Ansatz dazu seit Jahren:

Die Einheit der Christen gelingt nur dann, wenn man den Theologen verbietet, daran mitzuwirken.

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