Der Mensch lebt fei ned vom Brot allein

Pausenhof in Rentweinsdorf, einem kleinen Ort in Unterfranken. Im Religionsunterricht war die Versuchung Jesu durchgenommen worden und der Heiner meinte: „Des find ich für gemein, wie der Deufl immer den Jesus ärcherd.“ Worauf die Renade nur sagte: „Noja, lass na doch sei Frääd“, zu Deutsch, lass ihn doch, wenn es ihn freut.

Als ich noch ein Kind war, umgab uns der christliche Glaube von allen Seiten. Im Dorf gab es einen alten Mann, der das Neue Testament auswendig konnte und die Psalmen rückwärts. Besonders Letzteres wurde als Beweis seiner Frömmigkeit gewertet. Tischgebete und das Abendgebet waren Konstanten. Stoßgebete, „mach dass die Mutter nix merkt“ waren häufig aber unregelmäßig notwendig. Vor dem Schlafengehen las unsere Großmutter vor, manchmal Märchen, manchmal aus der Kinderbibel. Da verschwamm Manches und in der kindlichen Phantasie formte sich aus zwei Geschichten eine neue, zum Beispiel Goliath und das tapfere Schneiderlein.

Mein ganzes ästhetisches Empfinden war geprägt von der Schnorr von Carolsfeld´schen Kinderbibel. Das führte auch zu ersten Glaubenszweifeln, denn als wir die zehn Gebote mit Ausleechung von Dogdä Maddin Luddä durchnahmen, kam mir meine bebilderte Kinderbibel als flagranter Verstoß gegen das Bildnis Verbot vor. Mein Vater sagte, das sei schon in Ordnung. Als Jurist lernte ich dann, was das bedeutet: Gesetzesauslegung gegen den Wortlaut.

Die Dreieinigkeit war natürlich ein Buch mit sieben Siegeln. Mir genügte der liebe Gott vollkommen, zu dem betete ich und von dem wusste ich, dass er mich behütete, wenn ich nachts Angst hatte. Jesus war irgendwie auch wichtig, aber das reduzierte sich darauf, dass es ohne ihn kein Weihnachten gäbe. Und überhaupt, es gab ja nicht nur drei wichtige Instanzen sondern derer vier: Gott, Jesus, der Heilige Geist und die Patronatsfamilie. Für die wurde an jedem Sonntag gebetet und ich dachte auf gut fränkisch „des wird aa scho sowas sei.“ Irgendwann fragte ich und erfuhr zu meinem namenlosen Erstaunen, dass die Patronatsfamilie „wir“ waren. Damals gab es noch das Kirchenpatronat, ein allerletzter Rest aus feudalistischer Zeit. Der Patron, mein Großvater, später mein Vater, bestimmte den Ortspfarrer und wenn der zu lange predigte, fand es mein Großvater noch für angebracht, laut „Amen“ zu sagen, worauf die Predigt abrupt endete. Für die Patronatsfamilie wurde zwar gebetet, aber in erster Linie saß sie im „Baronsstall“, einem opulent mit Stuck verziertem Zimmer dessen Fenster sich zur Kanzel hin öffneten. Harte Kirchenbank? Von wegen: wir saßen auf gepolsterten. Stühlen.

Den Kindergottesdienst hielt meine Mutter. Einmal sollten wir biblische Geschichten nacherzählen. Es ging um das Damaskus Erlebnis des Apostels Paulus. Ludwig, wir nannten ihn Lubber, wurde aufgerufen und erzählte, als handele es sich um einen Abenteuerroman: Wie der Baulus nüber auf Damaskus gariddn ist, hat’s auf a mol an Schloch gedahn, und den Baulus hat‘s vo sein Gaul runderghiem. Und wie er sich a wengla berabbld hat, hat na fei a Stimm gfreechd: „Saulus, warum lässt Du elender Fregger mich ned in Ruh?“ Damals hadder sich nämlich nuch Saulus gschriem. Und da had der Saulus erschdamol gfreechd, wer denn da zu na spricht. Und do is wieder die Stimm kumma und had geschd: „Ich bin dein Herr und Meistä und du sollst mich endlich nimmer verfolchn!“  Und da hod sich der Saulus wieder hiegaleechd, wo er doch grad erscht aufgstanna war und hat sich bekehrt. Und drum haasd er etzert Baulus.

Und dann war da noch die Geschichte mit dem Tschona. Er hieß eigentlich John und man munkelte, sein Vater sei zwar Ami aber auf und davon. Im Kindergottesdienst mühte sich meine Mutter ab, uns nach Matthäus 4,4 klarzumachen, dass es nicht nur materielle Speise für den Menschen gäbe, sondern dass auch Gottes Wort für sein Wohlergehen notwendig sei. Da merkte sie, dass der Tschona schlief. Sie rief ihn auf:
„Tschona, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, wie geht’s weiter?

Der Tschona erhob sich schwerfällig und nach einigem Nachdenken sagte er: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern er braucht Fleisch auch.“

Meine Mutter ging zur Schnappatmung über, aber wir fanden dass der Tschona da etwas sehr Vernünftiges gesagt hatte.

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