URNENFLUG

Herr Reger hatte eigentlich eine ganz gute Rente, aber es reichte hinten und vorne nicht. Das hatte einen frommen Grund, denn Herr Reger verprasste seine Rente in Briefmarken. Er sammelte sie nicht, vielmehr kaufte er sie um sie auf ungezählte Briefumschläge zu kleben, die er in alle Welt verschickte.

Herr Reger war davon überzeugt, dass er es sei, der durch hektographierte Briefe in deutscher Sprache, die diversen Kirchenfürsten der Welt zur Einheit der Christen bewegen würde.

An sich ein löbliches Unterfangen. Frau Reger war dennoch sauer. Sie fand, ihr Haus auf Ibiza, in dem das Ehepaar lebte, benötige einen neuen Anstrich, der Gartenzaun müsse gerichtet werden und außerdem wünschte sie sich seit Jahren, das Weihnachtsfest bei ihrer Tochter mit den beiden Enkeln in Deutschland verbringen zu können. Für all das reichte das Geld nicht, weil, wir erinnern uns…

Die Pfarrer der evangelischen Gemeinde auf den Balearen besuchten Regers immer, wenn einer der beiden nach Ibiza kam. Immer versuchten sie Herrn Reger zur brieflichen Kontinenz und damit zur Entlastung der Haushaltskasse zu bewegen, was dieser mit Entrüstung von sich wies, ja wähnte, die Pfarrer steckten mit den „Schismaten“ unter einer Decke.

Eines Tages stellte man bei Herrn Reger eine schwere Krankheit fest, die auf Ibiza nicht behandelt werden konnte. Er wurde nach Palma gebracht, wo er alsbald verstarb.

Die Sitzungen des Kirchenvorstandes fanden damals, wir sprechen von der ersten Hälfte der 80er Jahre, im Gemeindehaus in der Calle Joan Miró statt. Rechts eine Disco, gegenüber ein Freudenhaus, um es kurz zu machen, es war keine adäquate Lage. Heute ist das Haus verkauft, man macht dort dem F-haus gegenüber Konkurrenz.

Nach einer solchen Sitzung des Kirchenvorstandes wurde ich gebeten, Herrn Reger mit nach Ibiza zu nehmen. Mit diesen Worten wurde mir eine schwere Plastiktüte in die  Hand gedrückt. Darauf stand groß PRYCA, etwas kleiner Precio y Calidad. Das war der Vorgänger von Carrefour. Mein fragender Blick wurde belohnt, immerhin. Ja, das sei die Urne von Herrn Reger, seine Witwe erwarte ihn schon.

Am Flughafen wurde die Urne zwar durchleuchtet aber nicht beanstandet, ich hatte gehofft, man werde sie mir dort abnehmen. So kam ich mit der Urne zu Hause an. Meine Frau war nur mittelmäßig erfreut, Herr Reger wurde in der Holzlege zwischengelagert.

In Palma hatte man mir eine Telefonnummer gegeben, die aber nicht die von Frau Reger war, sondern die von Ca‘n Toni, der nahegelegenen Bar. Ich bat, auszurichten, dass am kommenden Samstag ich plus Urne bei Frau Reger erscheinen würden.

Als ich mich dem Haus näherte, wurde ich eines mehrheitlich weiblichen Empfangskomitees gewahr. Es war vorauszusehen, dass man die PRYCA Tüte als des Anlasses nicht würdig empfinden würde, und so packte ich die Urne aus und trug sie gemessenen Schrittes durch den Garten zu den wartenden Trauernden. Ich drückte das Gefäß der weinenden Frau Reger in die Hand. Nein, nein, das sei nicht Frau Reger. Man verwies mich an eine sehr gefasste, ja frohgemute Dame mittleren Alters, die die Urne nahm und mit ihr im Haus verschwand. Eine der Trauernden bat mich nun auf die Terrasse, wo ein Tisch mit üppig Kaffee und Kuchen sowie Sektgläsern gedeckt war. Frau Reger gesellte sich nach kurzer Zeit ohne Urne auch dazu und begann unter Auslassung des Kaffees gleich mit dem Sekt der Marke Segura Viudas. Sie kommentierte dies beim Einschenken so: „Segura Viudas muss reichen, die Marke Viuda Alegre gibt es nicht, und das Geld für Veuve Cliquot ist bei der Post gelandet.“

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