Eine Karriere im Internat

Aus Gründen, die hier eher nicht weiterführen, habe ich zehn Jahre bis zum Abitur gebraucht und diese Dekade verbrachte ich im Landheim in Schondorf am Ammersee.

Meine dortige Karriere war fast schon vergessen, als zu Weihnachten 2013 in den „Grünen Heften“, der „Old Boys Prawda“ des Landheims in einer winzigen Notiz vermeldet wurde, mir sei im Jahr 1971 der „Julius Lohmann Gedächtnispreis für hervorragende Leistungen in der körperlichen Arbeit“ verliehen worden.

Die himmlichen Heerscharen lachten, aber meine böswilligen Nichten und Neffen, kriegten sich gar nicht wieder ein.

Schon allein die Vorstellung, ich könne 1971 oder wann auch immer, durch hervorragende Leistungen aufgefallen sein, ist eine Lachnummer, aber dies im Zusammenhang mit körperlicher Arbeit, nein, das war das Absurde schlechthin.

Körperliche Arbeit, das ging täglich von 3 bis 5 am Nachmittag und beinhaltete Unkraut jäten, die Aschenbahn pflegen, in der Schreinerei arbeiten oder segeln. Auf Letzteres hatte ich mein Augenmerk gerichtet, wurde aber jäh abgelehnt. Ich sei zu schwächlich, wurde mir beschieden, und so begann ich in der Schlosserei zu schmieden und zu feilen, um nur ja der gärtnerischen Arbeit zu entgehen.

Später gelang es mir, mich auch noch vom Spüldienst abzuseilen, in dem ich mich mehrere Jahre am Posten des Spüldienstwartes festkrallte. Der musste ob der verantwortlichen Aufgabe, die er zu stemmen hatte, selbst nicht abspülen. Das ist im Übrigen ein Job, den ich nur jedem empfehlen kann, der Probleme damit hat, vor vielen Menschen zu sprechen. Ich musste die Liste derer,  die abspülen mussten, nach jeder Mahlzeit vor versammelter Mannschaft ausrufen und wenn ich am Wochenende verbotenerweise vier Halbe Bier im Nachbardorf Hechenwang getrunken hatte, dann war es eine Leistung, das Ausrufen hinzukriegen, ohne dass man merkte, dass ich blau war.

Zweiter Froschwart wurde ich auch. Die Frösche waren die Kleinen. Der Froschwart musste auf sie aufpassen und bekam ein tolles Zimmer. Auch Bühnenwart wurde ich, das hatte den Vorteil, dass ich und meine Mannschaft vor dem Elterntag praktisch von der Schule dispensiert waren, wenn es galt die Bühne für das obligate Theaterstück vorzubereiten. Hinter den Kulissen haben wir so manches Bierchen gekippt.

Man bemerkt es: Ich habe all diese Posten nur angestrebt, um damit etwas anderes zu verhindern oder zu erreichen: nicht abspülen, dufte Bude, Lizenz zum Biertrinken hinter der Bühne, aber nach außen eine beispielhafte Landheim-Karriere.

Kein Wunder, dass man mich 1969 zum Vize Präses und im Jahr darauf zum Präses, dem Schülersprecher, wählte.

Damals war ich in der 12 Klasse und bemerkte jählings, dass ich durchs Mathe Vor-Abitur fallen würde, denn ich hatte keine Ahnung. Ich wäre somit der erste Präses gewesen, der je durchs Abitur gefallen wäre, und diese Schmach war sogar für meine Bräsigkeit zu viel.

Also setzte ich mich von Ostern bis Pfingsten auf den Hosenboden und siehe da, beim Matheabitur hatte ich eine vage Ahnung von dem, was man von mir erwartete.Ich bestand. Offenbar ist diese einzige und erstmalige schulische Anstrengung bei meinen Lehrern nicht unbemerkt geblieben, denn Jahre später musste sich mein jüngerer Bruder zu seinem namenlosen Ärger anhören, wie ich als güldenes Beispiel der Strebsamkeit hingestellt wurde.

Ich verbrachte dann die 13. Klasse, schon nicht mehr als Präses, sozusagen als „elder statesman“ sehr kommod in einer Zweierbude mit Balkon. Da die wahren Intentionen meines Engagements in der Schülermitverwaltung etc. nie das Licht des Tages erblickt hatten, kam man nicht umhin, mich zum Schulabgang mit dem „Ernst Reisinger  Gedächtnispreis für besondere Verdienste um das Heim“ zu beehren.

Von wegen „hervorragende Leistungen in der körperlichen Arbeit“.

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