THE BACARDI PROJECT
Als wir neulich in der Philharmonie waren, liefen wir an der Neuen Nationalgalerie vorbei. Potsdamer Straße eben. Auf unserer Abiturs Klassenfahrt im Jahr 1970 sah ich dieses Gebäude zum ersten Mal. Unser Klassenlehrer, Wolfgang Lohan, der von allen geliebte und verehrte Öppi, war in erster Ehe mit der Tochter von Ludwig Mies van der Rohe verheiratet gewesen. Wenn wir ihn in seiner Wohnung besuchen durften, lümmelten wir, ohne dies zu ahnen, auf Original Barcelona Stühlen herum.
Als wir nach Berlin kamen, besuchten wir das geniale und vollkommen diaphane Bauwerk, das nur auf acht äußeren Säulen steht. Damals fragte man sich in Berlin schon nicht mehr, ob es halten würde, vielmehr wunderte man sich, dass es trotz dieser nur acht Säulen immer noch stand. Öppi verlor kein Sterbenswörtchen darüber wir nah er dem Bauwerk im Herzen war. Es war sein Sohn Dirk Lohan, der später in Chicago die spektakulärsten Wolkenkratzer baute, der als Enkel von Mies van der Rohe sehr eng bei Planung und Ausführung beteiligt war.
Erst viel später hörte ich von der bemerkenswerten Geschichte des Baus. Im Jahr 1957 bereits hatte Mies das Baukonzept eines Museumsbaus ohne Zwischenwände mit außenstehenden tragenden Säulen geplant. Die Rum-Familie Bacardi wollte in Santiago de Cuba darin ihre Kunstsammlung aufbewahren und ausstellen. Daraus wurde aus Gründen, die wir alle kennen nichts, und so schlummerte „The Bacardi Project“ in der Schublade, bis der Schweinfurter Industrielle Georg Fischer (Kugelfischer) den Architekten bat, das Museum in Schweinfurt zu realisieren, er brauche Platz für seine Bildersammlung.
Um es kurz zu machen: Mies van der Rohe reiste nach Schweinfurt und fuhr auch gleich wieder weg. Wer will ihm das verdenken? Er wusste ganz genau, dass dieser sein Entwurf ein Jahrhundertwurf war, und den wollte er nicht in einer unterfränkischen kleinen Industriestadt verwirklicht sehen. Perlen vor die Kugellager, fällt einem dazu ein.
Die Jahre gingen ins Land und dann meldete sich die Stiftung preußischer Kulturbesitz, man brauche ein neues Museum.
Mies war begeistert, er war ja nun auch kein junger Mann mehr und da sah er in dem Berliner Angebot seine letzte Change, „The Bacardi Project“ doch noch zu verwirklichen.
Unter kräftiger Mithilfe des Enkels Dirk Lohan wurde der Bau 1968 fertiggestellt.
Bei der Einweihung, ein Jahr vor seinem Tod, hüpfte der Architekt glücklich wie ein kleiner Junge durch den riesigen Saal, während alle anderen, vorneweg der eigene Enkel, dem Frieden nicht so wirklich trauten. Es handelt sich immerhin um eine Fläche von 2.683 Quadratmetern, die, wir hörten es, nur von acht außenstehenden Säulen getragen wird.
Dirk Lohan berichtet in seinen Erinnerungen, wie er beim Einweihungsempfang stets darauf geachtet habe, dass er sich nicht unter einem der Stahlträger, sondern dort aufhielt, wo die Kassettendecke nach oben einen Hohlraum freigab. Er rechnete sich dort beim zu erwartenden Einsturz des Gebäudes bessere Überlebenschancen aus.
Es ist denkwürdig, wohin sich Dank richten kann.
Ludwig Mies van der Rohe ist tot
Wolfgang Lohan ist tot
Dirk Lohan kenne ich leider nicht
Allen bin ich dankbar