Neulich war ich in Palma de Mallorca mit Freunden zum Abendessen verabredet: Tapas in der Calle de la Fábrica n° 1, sehr zu empfehlen.
Nach Einigem Hin und Her kamen wir auf das Unvermeidliche: Die Flüchtlinge. Schnell waren wir uns einig, dass die derzeitige Entwicklung in Afrika, aber insbesondere im Nahen Osten zwar ein außenpolitisches Problem geblieben darstellt, sich aber Tag für Tag mehr in die Innenpolitik der europäischen Länder einschleicht und durchaus zu einem destabilisierenden Faktor in so manchem Land werden kann.
Ich berichtete dann von meiner Erfahrung mit Flüchtlingen in Berlin und insbesondere von denen, die ich mit meinem Mündel sammeln konnte. Der junge Syrer ist ja, man erinnert sich, zu den Behörden gelaufen, um zu Protokoll zu geben, er habe das Vertrauen in mich verloren, als ich mich weigerte, für ihn um einen besseren Asylstatus Klage zu erheben. Dieser Status hätte es ihm ermöglicht, seine Eltern nachzuholen.
Nachdem ich festgestellt hatte, dass er zwar aus Syrien geflohen war, aber keineswegs für ihn oder seinen mit geflohenen volljährigen Bruder Gefahr für Leib und Leben bestanden hatte, nachdem er mich gefragt hatte, wann er denn endlich seinen eigenen Laptop bekäme und er meinte, die Unterbringung in einem Hotel sei ja wohl wirklich nicht adäquat und ich solle für ein Häuschen sorgen, war ich zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei ihm um einen Wohlstandsflüchtling handelte, den man vorgeschoben hatte, damit danach die Gesamtfamilie nachkommen könne.
Ich habe da nicht mitgespielt, weil ich fand, ich würde damit der Destabilisierung Europas aufhelfen. Außerdem fand ich, dass der junge Mann sich noch weniger integrieren werde, wenn um ihn herum nur arabisch sprechende Familienangehörige wohnten.
Bei diesem Punkt der Unterhaltung platzte meiner Freundin der Kragen und mit ziemlich lauter Stimme fuhr sie mich an:
„Ja,wen glaubst denn du, haben wir zuerst losgeschickt? Die Kinder natürlich! Die mussten überleben. Und wenn alles gut gegangen wäre, hätten sie ihre Familien nachholen können. Das ist aber meistens nicht gelungen und die Zurückgebliebenen kamen in den Gaskammern um. Meine Großmutter hat meinen Vater im letzten Augenblick auf die andere Straßenseite geschubbst. Sie wusste, dass sie ihr Kind nie wieder sehen würde, aber so hatte es eine Chance zum Überleben! Glaubst du denn, dass die syrischen Familien anders denken?“.
Ich machte noch einige wenig überzeugende Verteidigungsversuche und musste dann zugeben, dass ich mir die Sache so noch nicht überlegt hatte.
Wenn man keine jüdische Großmutter hat, wenn die Familie nicht von Stalin verfolgt wurde, dann haben wir keine Überlieferung von Flucht, zumal dann, wenn die eigene Familie seit Jahrhunderten in Franken gesessen hat. Meine pommerischen Verwandten sind auch geflohen, aber sie sind wenigstens nicht ins Ungewisse geflohen.
Wir haben generell kein kollektives Wissen von Flucht und ihren Gründen. Wir können uns das alles vorstellen, vielleicht sogar verstehen, aber wissen können wir das nicht.
Ich bin seit diesem Gespräch extrem verunsichert:
Habe ich richtig gehandelt?
Was können wir besser machen?
Was müssen wir besser machen?